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Herausforderung zweite Fremdsprache

Die Frage, ob Latein, Französisch, Spanisch, Griechisch oder Italienisch als zweite Fremdsprache gewählt werden soll, machen Sie bitte an der Vorliebe des Kindes fest, die hoffentlich ausreichend Motivation liefert, die strukturellen Herausforderungen der zweiten Fremdsprache zu bewältigen.

Denn egal, welche Sprache Sie bzw. Ihr Kind als zweite Fremdsprache wählen, die strukturelle Herausforderung liegt beim Erlernen derselben nicht vorwiegend in der Sprache selbst begründet, sondern in der Tatsache, dass für diese zweite Fremdsprache nur 5 Schuljahre zur Verfügung stehen, nach denen jedoch dasselbe Sprachniveau erreicht werden soll wie in der ersten Fremdsprache.

Ein Vergleich, den man sich einmal bewusst machen sollte, weil er erklärt, worin der eigentliche Stress bei der zweiten Fremdsprache begründet liegt:

In den meisten Grundschulen beginnt die Heranführung ans Englische als erste Fremdsprache bereits in der dritten Klasse, während die Rechtschreiberziehung in der Muttersprache noch nicht abgeschlossen ist. Auch, wenn in diesen beiden Grundschul-Englisch-Jahren die Benotung nur aus der mündlichen Mitarbeit gewonnen werden darf, hat ein Abiturient mit Englisch als erster Fremdsprache am Ende seiner Schulzeit glatte 11 Jahre Englisch-Unterricht Zeit gehabt, um sein Sprachniveau zu erreichen.

Wenn man bedenkt, wieviele Anglizismen unser normales Alltags-Deutsch beinhaltet und wieviel Englisch wir sowieso schon über Musik und Computer zu hören bekommen, wird klar, dass hier das Tempo, in dem neue Inhalte der ersten Fremdsprache gefestigt werden, bei annähernd jeder Lerngeschwindigkeit mehr oder weniger gut gehalten werden kann.

Was sich leider niemand mehr traut zu sagen, ist dass für eine Allgemeine Hochschulreife (also das Abitur) dasselbe Sprachniveau in einer zweiten (und damit anderen) Fremdsprache nachgewiesen werden muss. Da im Gymnasium die zweite Fremdsprache aber eben erst in der 7. Klasse (oder in G8 in der 6. Klasse) beginnt und vorher nirgends eine spielerische Einführungsphase von zwei Jahren in die zweite Fremdsprache stattfindet, haben die Lernenden für das Erlernen derselben Sprachkompetenzen wie in der ersten Fremdsprache nun nur noch knappe 5 Jahre Zeit. Das ist weniger als die Hälfte für dieselbe Stoffmenge, komplett ohne Karenzzeit und von Anfang an schriftlich benotet.

Die Stoffverteilungspläne sind daher für jedes einzelne Lernjahr der zweiten Fremdsprache prall gefüllt und jedes Schuljahr baut auf die Inhalte des vorhergehenden auf. Die meisten meiner verbeamteten Schul-Kolleg:innen kennen den großen Druck, das Jahres-Curriculum (also die inhaltlichen Stoff-Vorgaben, die während des Jahres vermittelt sein müssen) tatsächlich zu erfüllen, um nach den Sommerferien eine Klasse nicht mit inhaltlichem Rückstand an eine/n Kolleg:in abgeben zu müssen.

Für die Lernenden bedeutet diese Tatsache, dass sie sich keine wirklichen Verständnis-, Vokabel- oder Grammatik-Lücken erlauben können, weil sie sonst relativ zügig den Anschluss verlieren. Während man in Englisch durchaus mal ein oder zwei Lektionen „verbummeln“ kann, weil man im Lauf der Jahre genug Zeit hat, um nicht gelernte unregelmäßige Verbformen doch noch nachzuholen oder Vokabeln aufzufrischen, die etliche Zeit brach gelegen haben, ist das in der zweiten Fremdsprache ein gefährliches Spiel mit dem Feuer.

Wer im ersten Lernjahr mündlich gut mitmacht, seine Vokabeln und Verbformen aber nicht kontinuierlich lernt, merkt das zwar noch nicht stark in der Notengebung, wird aber mit großer Sicherheit während des ersten Halbjahres des zweiten Lernjahres deutlich in den Leistungen abfallen. Denn wer die grundlegenden Vokabeln & Verbformen nicht drauf hat, kann dem neuen Stoff im zweiten Lernjahr nicht mehr folgen. Dann fallen die Leistungen meistens sehr plötzlich ab.

Und alles, was im zweiten Lernjahr an neuer Grammatik durchgenommen wird, ist notwendig anzuwenden, um die nachfolgenden Kapitel zu bewältigen. Mit 5 Unterrichtsstunden pro Woche kommt da einiges zusammen, was bedeutet, dass die Lücken während des zweiten Lernjahres ziemliche Ausmaße annehmen können. Wer hier nicht regelmäßig lernt oder gelernt hat, bekommt schnell das Gefühl, einer vollkommen unübersichtlichen Menge an Grammatikkapiteln, Verbformen und sonstigen Anforderungen gegenüber zu stehen, die allein nicht zu bewältigen sind.

Das liegt aber nicht an individueller Unfähigkeit, sondern an der schieren Menge des Stoffs, mit der man im Rückstand und damit völlig verständlich zunächst überfordert ist. – Dennoch ist zu diesem Zeitpunkt ein systematisches Aufarbeiten noch gut machbar!

Wenn diese Lücken dann nicht systematisch angegangen und aufgearbeitet werden, kommt spätestens im ersten Halbjahr des dritten Lernjahres die 5 in Sicht (das liegt am Aufbau der inhaltlichen Stoffverteilung für die zweite Fremdsprache, denn es muss ja schnell gehen mit dem Lernen) und es kommt immer neuer Stoff nach. Da ab dem dritten Lernjahr wöchentlich nur noch 3 Stunden pro Woche unterrichtet werden, kommt es überdies nun häufig vor, dass aufgrund der persönlichen Lücken und deutlich geringeren Zahl an Wochenstunden im Fach die innere Aufmerksamkeit und das Interesse am Fach nachlassen.

Leider bedeutet das aber nicht, dass nun Lerntempo und Stoffmenge während des 3. und 4. Lernjahres gedrosselt würden. Nun geht das Curriculum einfach davon aus, dass die lernenden Gymnasiast:innen mittlerweile selbständig und alt genug sind, um eine innere Lernhaltung entwickelt zu haben. Der fachliche Anspruch der zweiten Fremdsprache bleibt also nach wie vor hoch und wir befinden uns mittlerweile in der 9. Klasse, also mitten in der Pubertät. Gehirn im Umbau. Zeitweise sogar flüssig…

Es geht mir hier nicht darum, Horror-Szenarien zu entwerfen. Andererseits fühlt es sich für manche Französisch-Lernenden eben genau danach an, weil die Zeitvorgabe für das Erlernen der zweiten Fremdsprache so eng getaktet und damit sehr knapp bemessen ist. Ein Curriculum, das in 5 Jahren ein Niveau erreichen will, für das eine andere Fremdsprache mindestens 9 Jahre Zeit bekommt, kann keine zeitlichen Puffer für entwicklungspsychologische und emotionale Herausforderungen oder auch nur für unterschiedlich schnelle Lerner:innen zur Verfügung stellen.

DAS ist die große Herausforderung einer zweiten Fremdsprache – völlig egal, für welche zweite Fremdsprache man sich entscheidet!

Sollten Sie Schwierigkeiten haben, das zu glauben – was ich gut verstehe, denn das Internet behauptet viel, wenn der Tag lang ist und wer macht sich die Mühe, das Gegenteil zu beweisen – sprechen Sie in der Schule Ihres Kindes mit den Fachlehrer:innen für die zweiten Fremdsprachen: Französisch-Lehrer:innen, Spanisch-Lehrer:innen, Latein-Lehrer:innen, Italienisch-Lehrer:innen. Fragen Sie bei ihnen nach, worin deren Meinung nach die besondere Herausforderung bei der zweiten Fremdsprache besteht. Fragen Sie, wieviel Zeit Ihr Kind pro Woche in das Erlernen der zweiten Fremdsprache stecken sollte, ob der Arbeitsaufwand mit dem der ersten Fremdsprache vergleichbar ist und ob die Lehrkräfte glauben, dass der Zeitaufwand in einer anderen zweiten Fremdsprache höher oder niedriger einzustufen ist. 😉

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